Projekte in Kalabrien
theater: playstation baut seit 15 Jahren Kooperationen in Kalabrien auf, u.a. mit dem Teatro dell’Aquario aus Cosenza und mit der Institution „Nastro di Moebius“ aus Squillace und dem Filmemacher Saverio Tavano.
Seit Herbst 2023 starten wir ein längerfristiges Projekt, das sich künstlerisch mit der Lage von Geflüchteten in der Region, aber auch Europaweit, beschäftigt.
Zum Hintergrund: Kalabrien, südlichste Region des Italienischen Festlands, galt jahrzehntelang als sozial und wirtschaftlich abgehängte Problemzone. Infolgedessen kam es zu massiver Abwanderung, viele der traditionsreichen Dörfer und Städte sind heute weitgehend verlassen, Bausubstanz und die Infrastruktur verfallen zusehends.
In Kalabrien kommen auch viele Geflüchtete über das Mittelmeer an. Während Geflüchtete heute fast überall hauptsächlich als ein „Problem“ gesehen werden, haben in der speziellen Lage dort progressive Kommunalpolitiker seit den 1990er Jahren Modelle entwickelt, in stark entvölkerten Orten Geflüchtete anzusiedeln, mit der bewußten Intention, damit einerseits diesen Menschen eine Perspektive zu ermöglichen, und gleichzeitig verloren gegangene Infrastruktur auch für die verbliebene Bevölkerung wieder aufzubauen.
Berühmtestes Beispiel wurde Riace, wo Bürgermeister Domenico (Mimmo) Lucano unter dem Namen „Città Futura“ („Stadt der Zukunft“) zusammen mit Flüchtlingen einen Ort schuf, der für zwanzig Jahre Symbol für Solidarität, Integration und Gemeinnützigkeit wurde, und einen solidarischen Tourismus förderte (so die Selbstdarstellung der Kommune) – bis der rechtspopulistische Innenminister Salvini das Projekt mit politischen und juristischen Mitteln bekämpfte und den Bürgermeister unter Hausarrest stellen ließ. Inzwischen wurde Lucano von den strafrechtlich relevanten Vorwürfen freigesprochen.
Ein weiteres Beispiel ist das Dorf Camini nur wenige Kilometer von Riace, wo seit einigen Jahren eine beeindruckende Entwicklung stattfindet. Die sehr aktive lokale Institution „Jungi Mundu“ – was auf Kalabrisch ungefähr „Vereinte Welt“ bedeutet – hat Geflüchteten aus zahlreichen Ländern das Know-How vermittelt, mit traditionellen Methoden die alten zerfallenen Häuser wieder aufzubauen. Im Anschluß wurden Werkstätten und lokales Handwerk wieder aufgebaut. In Camini ist auch die langfristigere Ansiedlung zahlreicher Familien gelungen, viele der Jüngeren studieren inzwischen in der Region.
Ein Grund, warum wir uns für diese Region und dieses Thema dort interessieren, ist, weil etwas, das sonst meist nur als Problem betrachtet wird, eine Wendung ins Positive erfährt.
Allerdings hat Italien inzwischen eine rechtsradikale Regierung. Was bedeutet dies für die Zukunft solcher Projekte? Jedenfalls scheint es uns erst recht angezeigt, die lokalen Initiativen zu unterstützen und eigene Impulse einzubringen. Dabei konzentrieren sich unsere Aktivitäten im Moment auf das Dorf Camini, u.a. versuchen wir, dort ein dokumentarisches Theater-Projekt aufzubauen.
Hier Infos zu einigen der Aktivitäten:
Bildungsurlaub über Perspektiven für eine
progressive Flüchtlingspolitik in Kalabrien
Termine:
02.-07.06.2025 und 20.-25.10.2025
Zentraler Ort ist Camini, dort sind auch unsere Unterkünfte (s.u.)
Für den Bildungsurlaub können Teilnehmende extra Urlaubstage bei ihren Arbeitgebern beantragen. Die Reise ist aber offen für alle!
Es handelt sich um eine 8tägige Reise (6 Tage Bildungsurlaub + An- und Abreisetag).
Speziell im Projektdorf Camini tauchen wir ins Leben dieses besonderen Ortes ein, der zum Aufnahmeort zahlreicher Geflüchteter wurde.
Die oben geschilderten Themen werden in Gesprächsrunden, mittels Lektüre und Filmbeispielen, und besonders in zahlreichen persönlichen Begegnungen vermittelt. Dabei ist uns besonders die Einbindung von lokalen Aktivist*innen, kommunalen Planer*innen und Geflüchteten wichtig. Eine Besonderheit des Bildungsurlaubs wird sein, daß wir die Orte, Geflüchtete und ihren Alltag kennenlernen, Dinge (z.B. Olivenernte) unmittelbar erleben.
Außerdem interessiert uns, wie Erfahrungen und Ergebnisse der Kalabrischen Flüchtlingsinitiativen auf unsere Situation in Deutschland übertragbar sein könnten.
Die Bildungsurlaube werden veranstaltet von dem IAK aus Berlin und VAE (Frankfurt).
Für beide Termine gibt es noch freie Plätze, speziell für den Juni suchen wir noch Leute (es wird dann eine sehr schön Zeit dort sein, schon mit richtigem Badewetter)! Ihr könnt die Juni-Reise direkt auf der Seite des Veranstalters buchen. Oder auch auf iak-net.de (Es handelt sich um eine Kooperation, beide Veranstalter bieten die identischen Reisen an.)
Die Unterrichtseinheiten werden von David Chotjewitz geleitet, hinzu kommt häufig ein*e lokale Spezialist*innen, dazu gehören auch Vertreter einer Initiative in Rosarno. Hinzu kommen Exkursionen zu Projekten in Nachbarorten.
Weitere Themen sind ein allgemeiner Überblick über die geschichtliche, soziale, wirtschaftliche und politische Entwicklung von Süditalien und Kalabrien und die Rolle organisierten Kriminalität.
Weitere Infos findet ihr auf den Webseiten der Veranstalter IAK und VAE. Außerdem findet ihr eine ausführliche Beschreibung, auch zu praktischen Dingen, hier:
Dokumentar-Theater-Projekt in Camini und Umgebung
Wie sieht das Leben an diesem ungewöhnlichen Ort aus? Welche neue Form des Zusammenlebens entwickelt sich? Welche Themen können hinter der alltäglichen Lebensrealität sichtbar werden?
Die Idee zu diesem Projekt entstand, da in Camini 2023 ein kleines Freiluft-Theater eröffnet wurde. Hier soll ein dokumentarisches Projekt entstehen, das von Krieg und Flucht handelt, aber auch von Kindheitserinnerungen und andere Lebenserfahrungen, und um den neuen Alltag in Europa.
Die ungewöhnliche neue Form des Zusammenlebens in Camini ermöglichte es, daß sich an ersten Workshops über 30 Geflüchtete und Einheimische beteiligten.
Diese Arbeit soll ab April 2025 vor Ort fortgesetzt werden. Vor allem soll in Improvisationen, Interviews und Schreibübungen performatives Material entwickeln werden. Ziel ist es, den Bewohner*innen eine Stimme zu geben, ihnen ein auch künstlerisches Sichtbarwerden zu ermöglichen. Nächste Schritte sind vor allem, ein Team vor Ort weiter aufzubauen.
Außerdem haben wir 2023 einen Schauspiel-Workshop für Teilnehmende vor allem aus Deutschland in Verbindung mit diesem Projekt durchgeführt. Ähnliche Workshops sind für die Zukunft geplant, bei Interesse meldet euch gerne bei uns!
Infos zu dem Workshop von 2023 findet ihr hier:
Theater an einem Ort, der nicht existiert
Erasmus+ Projekt ab 2025
Unter dem Titel „European Refugees Odysee“ planen wir z.Zt. ein europäisches Trainings- und Vernetzungsprojekt für junge Geflüchtete und Aktivist*innen im Rahmen von Erasmus+. Es soll Kooperationspartner aus Deutschland, Spanien, Polen und Italien zusammenbringen und europaweite Mobilität für junge Geflüchtete und Aktivist*innen ermöglichen. Je nach Bewilligung durch Erasmus könnte das Projekt schon ab Juni 2025 starten! Weitere Infos folgen bald!
Zur Zeit planen wie außerdem ein Info-Veranstaltung in Hamburg, um auf die Situation in Kalabrien, die Initiativen vor Ort und unsere Projekte dort hinzuweisen.
Es soll eine Art Info-Lounge sein, mit kurzen Vorträgen, Lesungen von Texten und vor allem Gespräch und Begegnung – auch mittels Videoschaltungen zu Menschen in Kalabrien.
Updates dazu schon bald hier!!
Weiteres über Camini und seine Entwicklung z.B. in einem Taz-Artikel.
Oder auf der Webseite der dortigen Institution „Jungi Mundu„.
„Mein Herz klopft vor Freude, vor Ungeduld, vor Erregung. Ganz allein, ich und mein Fiat Millecento, und der ganze Süden vor mir. Das Abenteuer beginnt.“
Pasolini
Unsere Projekte in Kalabrien werden gefördert durch die Heidehof Stiftung, Stuttgart, die Behörde für Kultur und Medien, Hamburg, und die Stiftung:Do